Gleich mal vorab die schlechte Nachricht: wie bei allen Ansätzen zur Verlängerung von Health- und Lifespan gibt es auch bei Kalorienrestriktion keine medizinische 100%-Gewissheit, dass sie gut für den menschlichen Körper ist.
Es gibt allerdings sehr starke Anhaltspunkte dafür. Zumindest im Tierversuch haben wir klare experimentelle Nachweise positiver Effekte: so wird durch kalorienreduzierte Ernährung das Gewicht reduziert und viele Stoffwechselparameter verbessern sich. Diese Effekte lassen sich auch bei Menschen beobachten (dazu unten mehr). Besonders interessant: bei Mäusen lässt sich durch Kalorienrestriktion die maximale Lebensspanne um bis zu 50% verlängern, bei C. Elegans sogar verzehnfachen! Aktuell ist Kalorienrestriktion der robusteste – heißt am besten erforschte – Ansatz, um positiv in den Alterungsprozess einzugreifen [1] (ich setze hier mal noch hinzu: abgesehen von den pharmakologischen Interventionen; hierzu werde ich euch noch ausführlich im Rahmen meiner Blog-Serie zu Geroprotektoren schreiben).
Kalorienrestriktion ist damit eine der vielversprechendsten Anti-Aging Maßnahmen überhaupt.
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts gibt es viele gut dokumentierte Fallbeispiele zur Kalorienrestriktion. Die meisten davon geschahen unfreiwillig, lieferten uns jedoch trotzdem wertvolle Erkenntnisse über die positive Wirkung von Kalorienrestriktion. Ich habe euch zwei herausgesucht:[2]
- Die Bürger von Oslo wurden während des Zweiten Weltkriegs ungefähr vier Jahre lang (von 1941 bis 1945) einer erzwungenen Kalorienrestriktion von 20% unterzogen, aber ohne Mangelernährung; sie wurden ausreichend mit frischem Gemüse, Kartoffeln, Fisch und Vollkorngetreide versorgt. In diesem unfreiwilligen Experiment sank die Sterblichkeit in den unmittelbaren Nachkriegsjahren sowohl bei Männern als auch bei Frauen um 30% gegenüber dem Vorkriegsniveau.[3]
- Im Jahr 1991 ließen sich acht Wissenschaftler für 24 Monate im hermetisch versiegelten Biosphere II-Projekt einschließen. Biosphere II ist ein Gebäudekomplex in Arizona, der mit dem Ziel erbaut wurde, ein von der Außenwelt unabhängiges, in der ursprünglichen Planung sich selbst erhaltendes Ökosystem zu schaffen.[4] Sämtliche Nahrungsmittel mussten die Insassen in der Biosphere selbst anbauen. Aufgrund unvorhergesehener landwirtschaftlicher Probleme mit dem Anbau hatte die Besatzung 18 Monate lang fast 30% zuwenig Kalorien zur Verfügung. Die Zusammensetzung der Ernährung war dabei aber vielfältig, weitgehend vegetarisch, sehr fettarm und lieferte ausreichend Protein und viel Ballaststoffe. Zudem war diese „Kalorienrestriktions-Diät“ mit hoher körperlicher Aktivität verbunden (70 bis 80 Stunden intensive Arbeit pro Woche). Die acht Wissenschaftler erfreuten sich während der gesamten Zeit hervorragender Gesundheit, nahmen ca. 15% ab, hatten sehr gute Blutwerte und Blutdruckwerte.[5]

Das Biosphere II-Habitat (Lizenz: Katja Schulz from Washington, D. C., USA, CC BY 2.0 <https://creativecommons.org/licenses/by/2.0>, via Wikimedia Commons)
Bereits an diesen beiden Beispielen kann man gut erkennen, welche positiven Wirkungen sich aus einer kalorienreduzierten Ernährung ergeben.
Glücklicherweise wurden über die letzten Jahrzehnte aber auch schon einige geplante Studien unternommen, die uns ein noch tieferes Verständnis zur humanbiologischen Wirkung von Kalorienrestriktion ermöglichen – also zur Wirkung auf Menschen. Mit am umfangreichsten und aussagekräftigsten sind folgende beiden Studien:
- Erstens die sogenannte CRON-Studie. CRON bedeutet „Calorie restricition with optimal nutrition“, also „Kalorienrestriktion unter optimaler Ernährung“. Im Rahmen dieser Studie haben Mitglieder der Calorie Restriction Society [5a] freiwillig ihre Kalorienaufnahme für durchschnittlich 15 Jahre auf ungefähr 1800 kcal pro Tag eingeschränkt. Die Ernährung der Teilnehmer beinhaltete dabei alle essenziellen Nährstoffe, war stark pflanzenbasiert und enthielt sehr wenig Zucker. Im Ergebnis reduzierten sich die kardiometabolischen[6] und hormonellen Risikofaktoren der Teilnehmer für typische westliche Zivilisationskrankheiten spürbar (Typ 2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlaganfall, Krebs, vaskuläre Demenz): die Teilnehmer hatten alle sehr gute Blutwerte (u.a. Cholesterin- und Insulin-Werte) und niedrigen Blutdruck, sogar bei den Ende-Siebzigjährigen. Weitere positive Effekte waren bspw. eine hervorragende Herzfrequenzvariabilität[7], vergleichbar mit gesunden Frauen und Männern, die 20 Jahre jünger sind.[8]
- Ähnlich positive Effekte zeigte die CALERIE-Studie („Comprehensive Assessment of Long-term Effects of Reducing Intake of Energy“) des US-National Institutes of Health. In dieser wurde über zwei Jahre untersucht, wie sich eine kalorienreduzierte Diät auf gesunde schlanke und leicht übergewichtige Menschen auswirkt. Die Teilnehmer reduzierten ihre Kalorienaufnahme um knapp 12%; statt im Mittel 2.467 kcal hatten sie täglich 2.170 kcal zu sich genommen. Der Unterschied von gerade mal 300 kcal am Tag (das ist zum Beispiel ein Stück Käsekuchen oder eine größere Bratwurst) führte zu einer Verbesserung sämtlicher kardiometabolischen Stoffwechselparameter, wie HDL-Cholesterin und LDL-Cholesterin, Triglyzeride, Insulinsensitivität und Nüchternglukose sowie das C-reaktive Protein. Zudem verloren die Teilnehmer über zwei Jahre im Mittel 7,5 kg an Gewicht (davon 5,3 kg Fettgewebe). Nach Aussage des Studienleiters gebe es kein Medikament, das derart tiefgreifende positive Effekte auf ein so breites Spektrum von kardiometabolischen Risikofaktoren erziele.[9]
Die positiven Effekte sieht man auch auf molekularer Ebene. Nach Most, Jasper et al. zeigen die Daten aus der CRON-Studie, dass sich Langzeit- Kalorienrestriktion positiv auf zwei biologische Signalwege auswirkt, die beide eine Schlüsselrolle bei der Förderung von Gesundheit und Langlebigkeit in mehreren experimentellen Modellorganismen spielen (Hochregulierung des HSF / HSP-Signalwegs und Herunterregulierung der Aktivität des Insulin / IGF-Signalwegs; hierauf werde ich noch näher separat in einem Artikel über molekularbiologische Ursachen des Alterns eingehen).[10] Zudem verringern sich die Entzündungswerte des Körpers und die mitochondrielle Aktivität und die Glukosehomöostase verbessert sich.[11]
Eine Theorie für diese vielfältigen positiven Effekte ist, dass der Körper in einen Art „Lebensverlängerungs-Modus“ schaltet, um dann, wenn es wieder ausreichend Kalorien gibt, die Reproduktions-Chancen zu erhöhen.[12] Eine signifikante Rolle spielt dabei nach aktuellem Forschungsstand die Aktivierung der Sirtuine.[13]
Ihr seht also, dass es viele sehr gut untersuchte Beispiele für die positiven Wirkungen der Kalorienrestriktion gibt. Wie alles Gute im Leben gibt es aber auch hier Risiken die man bedenken sollte. Diese stelle ich euch im nächsten Artikel dar.
Quellen
[1] Vgl. Picca, Anna et al. “Does eating less make you live longer and better? An update on calorie restriction.” Clinical interventions in aging vol. 12 1887-1902. 8 Nov. 2017, doi:10.2147/CIA.S126458, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5685139/
[2] Vgl. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5315691/
[3] Vgl. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5315691/
[4] Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Biosph%C3%A4re_2
[5] Vgl. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5315691/
[5a] Vgl. https://www.crsociety.org/index.html/
[6] Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Metabolisches_Syndrom
[7] Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Herzfrequenzvariabilit%C3%A4t
[8] Vgl. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5315691/
[9] Vgl. https://www.aerzteblatt.de/blog/104642/Kalorienrestriktion-nuetzt-auch-schlanken-Menschen
[10] Vgl. Most, Jasper et al. “Calorie restriction in humans: An update.” Ageing research reviews vol. 39 (2017): 36-45. doi:10.1016/j.arr.2016.08.005, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5315691/
[11] Vgl. The Search for Antiaging Interventions: From Elixirs to Fasting Regimens, https://www.cell.com/action/showPdf?pii=S0092-8674%2814%2900679-5, S. 1517
[12] So nachgewiesenermaßen bei einzelligen Organismen, vgl. The Search for Antiaging Interventions: From Elixirs to Fasting Regimens, https://www.cell.com/action/showPdf?pii=S0092-8674%2814%2900679-5, S. 1517
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